“Oh nein, was knirscht denn da in meinem Mund?” Nun, es war ein Stück abgebrochener Zahn. Eine Alterserscheinung, mein Zahnarzt hatte mich gewarnt, dass das bei den schon mal geflickten Zähnen passieren könnte. Jetzt bewahrheitete es sich und nur einen Tag später lag ich auf seinem Zahnarztstuhl und liess die notwendige Prozedur über mich ergehen. Ich bin jeweils zwiespältig auf diesem Stuhl, einerseits gehört so eine Behandlung nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, andererseits bin ich unendlich dankbar, dass sich ein Profi an die Arbeit macht und Schlimmeres verhindert. 

Auch dieses Mal, den Mund weit aufgesperrt, mit Absaugrohr drin und vom hellen Licht geblendet, hing ich meinen Gedanken nach. Der Zahnarzt unterbrach den Gedankenstrom mit einer Ankündigung: “Es wird jetzt knistern, das ist der Laser. Mit dieser neuen Technik kann ich das Problem einfach und grad dauerhaft lösen.” Er war ganz begeistert von dieser Möglichkeit. Ich auch. Während es also knisterte, dachte ich darüber nach, wie es mir vor 500 Jahren ergangen wäre. Da hätte ich vermutlich unter viel Schmerz den Zahn gezogen gekriegt. Oder ich hätte ihn gar nicht mehr gehabt, weil er mir 30 Jahre vorher schon gezogen worden wäre. Oder ich hätte gar nicht mehr gelebt, weil ich 30 Jahre früher an einer Zahnentzündung, die sich unter höllischen Schmerzen ausgebreitet hätte, elendiglich verendet wäre. Ja, solche Sachen denke ich auf diesem Stuhl. Was bin ich doch froh, heute zu leben. Und obendrein einen Zahnarzt zu haben, der sich weiterbildet und neue Verfahren anwendet, die bessere Resultate bringen und weniger Schmerz verursachen.

Jede Wissenschaft entwickelt sich und bringt neue Erkenntnisse hervor. Im Prinzip ist das auch bei der Theologie so. Da scheint es allerdings eine gewisse Resistenz in der Anwendung zu geben. Aufgrund historischer, archäologischer, soziologischer oder sprachwissenschaftlicher Studien kam über die Zeit viel Neues zu Tage. Das darf und soll man mit einbeziehen beim Bibellesen. Luther, der beispielsweise das Wort ezer in der Schöpfungsgeschichte noch als Gehilfin übersetzte, war damit ganz Kind seiner Zeit. Mittlerweile ist klar, dass dieser Begriff eine andere Konnotation und eine grössere Bedeutungswolke umschreibt, zum Beispiel Rettung. Sogar Gott selber wird mit diesem Begriff bezeichnet, wenn er als Hilfe in Erscheinung tritt. Nichts da Gehilfin mit Besen und Kochlöffel. Oder Junia, die in früheren Übersetzungen als Mann dargestellt wurde, weil es keine Apostelin geben durfte – mittlerweile gibt es viel Evidenz dafür, dass es sich um eine Frau handelte.

Auch Theologen sind in ihrer Epoche und dem dazugehörigen Denken verhaftet. Die Bibeltreue als rückwärtsgewandte, Wahrheiten konservierende Haltung verstanden, kommt mir vor wie eine Zange. Bibeltreue als Neugier, die der Wahrheit immer besser auf die Spur kommen will, wäre dann quasi der Laser. Allerdings wäre auch das noch nicht der Endpunkt der Erkenntnis. Da ist die Bibel topmodern: Alles Erkennen ist Stückwerk – und sie zu erforschen ein fortdauerndes Dazulernen.

Sabine Fürbringer